Nach Santiago de Compostela im Heiligen Jahr

Blauer Himmel, strahlende Sonne. Start an der Kathedrale von Astorga. Die Straße entlang. über die Autobahn, dann lange leicht ansteigend durch ein Meer aus gelbem Ginster. Im Hintergrund die schneebedeckten Berge von Leon. 260 Kilometer bis Santiago de Compostela. Zehn erlebnisreiche Wanderetappen auf dem Jakobsweg. Buen Camino!

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Anna-Maria Dahm, die Reiseleiterin und Wanderführerin des DAV Summit Club hat mögliche Treffpunkte ausgegeben. Jeder geht sein Tempo, jeder findet seinen Rhythmus. Jeder macht mit sich aus, ob er sich unterhalten oder mit seinen Gedanken alleine sein will. Fest steht das Quartier in Rabanal de Camino. Eine blitzsaubere, einfache Pension. Die Zimmer mit Dusche/WC sind reserviert. Das Abendessen bestellt. Und das Gepäck wurde auch schon geliefert.

Kurz vor dem Ziel auf der linken Seite eine viele Fußballfelder große Sumpfwiese, durch die lustvoll ein Storch stolziert. Gewaltig die alte Krafteiche in deren Schatten sich die Mittagshitze gut überdauern lässt. Ein Zaun ist mit Hunderten von aus Ästen und Zweigen gebastelten Kreuzen besteckt. Votivgaben der Pilger. Am Abend besteht die Möglichkeit zum Besuch des Pilgergottesdienstes, vor dem spanisch späten Abendessen. Karaffen mit Tischwein werden großzügig kredenzt.

Sehr gutes Frühstück mit Serrano-Schinken und geröstetem Baguett. Aufstieg zum Cruz de Ferro mit einem Stein in der Hosentasche, der am Ziel symbolisch niedergelegt wird. Welt aus weißem Ginster, Baumheide, Bergblumenpracht in allen Farben des Regenbogens. Zistrosen mit handtellergroßen, weißen Blüten. Schopflavendel in tiefem Blau. Hochbeinige Käfer sind mit uns auf dem Weg. Jede Menge Biker auch. Wabernde Hitze im Tal von Molinaseca. Wieder ein Etappenziel. Wieder ein schönes Gasthaus. Wieder ein prima Abendessen. Was will der Pilger mehr?

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O Cebreiro – mit langem Anlauf. Der im Mittelalter so gefürchtete Pass gleich hinter dier Grenze zwischen Leon und Galizien, ragt wie eine Hürde am Ende des langen Gehtages auf. Zuerst zwölf Kilometer entlang der Straße. Dieser Europäische Kulturweg quer durch Spanien kann nicht immer nur abseits des Verkehrs geführt werden. Auch Vorstädte und Industriegebiete müssen durchquert werden. Auch die langen, heißen, müde machenden Etappen gehören zum Weg. Metapher für das Leben.

Interessant ist auch die eigene Performance: mal tut die Leiste weh, dann die Fußsohle. Man fühlt sich in der einen Stunde müde und ausgelaugt, doch in der Stunde darauf kommt die Form zurück und man hat das Gefühl, noch Stunden weiter gehen zu können. Es kommt darauf an, wie man geschlafen hat, ob man genug getrunken hat, in welchem Verhälnis Physis und Psyche gerade miteinander stehen.

Die Pforte der Vergebung in Villa Franca del Bierzo gilt als „Klein-Santiago“. Der Friedhof hinter der Kirche ist ungewöhnlich groß. Viele Pilger kamen nicht mehr über O Cebreiro. Sie erhielten hier die Absolution und oft genug auch ein Grab. Heute ist der Camino zwar immer noch eine Herausforderung, aber es gibt keine technischen Schwierigkeiten, überall gute Quartiere, beste Markierung. Mit guter Wanderkondition gibt es keine Probleme. Und wenn Probleme auftauchen, ist die in Spanien lebende Führerin Anna-Maria Dahm, die den Camino schon an die zehn Mal komplett absolviert hat, immer in der Lage, Alternativen zu entwickeln und Lösungen zu finden.

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Der Jakobsweg ist ein Ereignis, gerade weil so viele Menschen ihn gehen, weil Gemeinschaft entsteht. Die Grüße unterwegs („Buen Camino“/“Buenos Tardes“/“Hola“) sind immer ehrlich und freundlich gemeint. Alle wollen das selbe, alle haben das gleiche Ziel. Die Freude auf der Passhöhe, im keltisch geprägten Dorf O Cebreiro, ist aufrichtig. Ob Japaner, Kanadier, Spanier oder Deutsche, ob Gläubige oder Nicht-Gläubige, Christen oder Buddhisten, man findet sie alle hier und alle unterwerfen sich gerne dem 1000 Jahre alten Diktat des Weges. Der Camino – mit seinem Auf und Ab – ist ein Spiegel für das Leben.

Galicien im Frühjahr gleicht einem ‚Garten Eden. Ein Stück vom Paradies. Die letzte „echte Etappe“ bis Lavacolla. Noch einmal durch die frische Luft der Eukalyptus-Wälder, noch einmal Tempo machen. Jetzt hat jeder seinen Rhythmus gefunden. Und wenn auch die Füße schon da oder dort zwicken, der Fünf-Kilometer-Schnitt macht in der Ebene keine Probleme mehr.

Abmarsch in Lavacolla bei strömendem Regen, der auch den ganzen Tag nicht aufhört. Unserer Freude tut das keinen Abbruch. So kommt die Regenjacke halt doch noch zum Einsatz. Kein Blick auf die Türme von Santiago vom Monte Gozo, dem „Berg der Freude“ aus. Aber in zweieinhalb Stunden Gesamtgehzeit sind wir ohnedies am Ziel: es ist schon ein besonderer Moment, Santiago zu Fuß erwandert zu haben und jetzt endlich vor der Kathedrale zu stehen, die wie ein Berg aus Zinnen und Türmen aufragt.

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Und nur im „Heiligen Jahr“ ist die „Heilige Pforte“ geöffnet. Ein unvergessliches Erlebnis, unter der Steinfigur des Heiligen Jakobus hindurchzuschreiten, hinein in die Kathedrale, in der beim Pilgergottesdienst – mit etwas Glück – der berühmte Botafumeiro geschwenkt wird, das gut 50 Kilo schwere, aus Silber getriebene Weihrauchfass.

Und im Pilgerbüro erhält man – mit lückenloser Stempelkette im Pilgerrpass – die ersehnte „Compostela“. Nur in Santiago de Compostela kommt das Omega vor dem Alpha.