Wandern im Bayerischen Wald: Wege aus Gold und Glas
Vom Dreisessel zum Großen Arber und von der Moldau an den Regen

Der Bayerische Wald ist älter als die Alpen. Man muss aber nicht die Geologie bemühen, um zwischen Regensburg und Passau nordöstlich der Donau Spektakuläres zu entdecken. Über 60 Berggipfel mit mehr als 1000 Metern Höhe überragen ein üppig-grünes Wandergebiet der Superlative. Naturpark und Nationalpark Bayerischer Wald bilden Europas größtes Wald-Natur-Schutzgebiet. Zusammen mit dem benachbarten tschechischen Nationalpark Sumava/Böhmerwald gedeiht unter dem „Grünen Dach Europas“ das größte Naturschutzprojekt des Kontinents.

Auch er ist im Bayerischen Wald noch heimisch: der Uhu!

Auch er ist im Bayerischen Wald noch heimisch: der Uhu!

Der Kolkrabe krächzt aufgeregt. Majestätisch kreist ein Habicht über schwarzen Wogen schweren Waldes, die sich kaska-dengleich über die Berghänge ergießen – bis hinunter nach Brenngupf oder Frauenberg auf der einen (bayerischen) Seite, nach Nova Pec (Neuofen) an der jungen Moldau auf der anderen (böhmischen), nach Ulrichsberg in Oberösterreich auf der dritten. Der Dreisessel, 1332 m, ist der höchste Berg des Unteren Bayerischen Waldes. Seit der „Eiserne Vorhang“ gefallen ist, sind die gut ausgeschilderten Wanderwege wieder frei – über das Steinerne Meer hinab zum Plöckensteiner See. Wie oft ging Adalbert Stifter, der „Dichter des Böhmerwalds“ vor gut 150 Jahren diesen Pfad: „An sonnigen Tagen zeigt der Hinabblick in all das blaue Dämmern und Weben der hinuntersteigenden Wälder entgegen dem einfarbigen Himmelsblau etwas so zauberhaft düster Holdseliges, dass manche Gemüter davon mächtiger erfasst werden, als von der Pracht des Blicks von den Sesseln aus.“

Über die sieben Berge: unterwegs auf
dem Europäischen Fernwanderweg E

Der Europäische Fernwanderweg E6 Ost-see-Wachau-Adria verläuft im Bayerischen Wald parallel zur deutsch-tschechischen Staatsgrenze. Die Wanderung führt über alle bekannten Berggipfel – je nach Gehrichtung – z. B. vom Dreisessel über Lusen, Rachel und Falkenstein zum Großen Arber, 1453 m, dem „König des Bayerischen Waldes“. Dabei hat man Anschluss an 200 Kilometer markierter Wanderwege alleine im Nationalpark. Überwiegend schmale, wurzelige Steige und teilweise beträchtliche Höhenunterschiede machen den E6 zu einem durchaus fordernden Mehrtages-Unternehmen für ausdauernde Wanderer, die einsame Wälder und einfache Berghütten bevorzugen. Nach dem deftigen Essen in urigen Gasthäusern gibt’s traditionell einen kräftigen Schluck Bärwurz, ein Schnaps, der nach Großmutters Rezept aus einer Wurzel destilliert wird, die nur im Bayerischen Wald wächst.

Morennebel über der weich modellierten Landschaft des Bayerischen WAades

Morgennebel

Das gelbe Schild „BRD“, weißblaue Tafeln – Landesgrenze. Hinter den Höfen des Niederbayerischen Freilichtmuseums Finsterau am einsamen Parkplatz „Jägerwiese“, steigen zwei Familien mit Kindern aus dem blauen Gas-Igelbus der Nationalparkverwaltung. Ein Schotterweg führt von Bayern nach Böhmen. Ohne jede Grenzformalität. Unmittelbar hinter dem zweisprachigen Blechschild öffnet sich eine geräumige Blesse im Wald. Nach 200 Metern zeigt ein hölzerner Wegweiser nach links: die rote Markierung führt auf bequemen Forststraßen in einer guten Stunde zum Quelltopf der Moldau.

Auf den Spuren der Salzsäumer:
Der „Goldene Steig“ nach Böhmen

Blutweiderich wuchert zu Heckenhöhe. Ganze Felder von pinkfarbenen Weidenröschen breiten sich teppichartig aus. Unterwegs auf dem Fernwanderweg E6 in Richtung Zwiesel trifft man in regelmäßigen Abständen auf immer wieder andere Varianten eines uralten Handelswegs. Der „Goldene Steig“ ist eigentlich ein ganzer Fächer einzelner, geschichtsträchtiger Pfade durch das Waldgebirge. Er war Jahrhunderte lang eine der wichtigsten Handelsverbindungen. Schon im Mittelalter zogen über diese – damals wegen Bären, Wölfen und Räubern nicht ungefährlichen Routen – die Salzsäumer von Passau her kommend, um mit Maultieren und stämmigen, kurzbeinigen Packpferden das „Weiße Gold“ nach Prachatice (Prachatitz) zu bringen. Kostbares Salz, Wein, Südfrüchte und Tabak wurden ins Moldauland befördert. Zurück schleppten die Rösser Hopfen, Honig, Malz, Wolle, Tierhäute und Braunkohle über einsame Pässe. Vier mit dem Säumersymbol markierte Wege – ausgestattet mit zahlreichen Informationstafeln zu historischen Orten und Stellen am Wegrand – folgen heute den Spuren der alten Handelszüge.

Niemand hetzt. Immer ist Zeit und immer ist Platz, für eine geruhsame Rast unter Bäumen – oder soll’s eine sonnige Lichtung sein? Die Zeit droht einzuschlafen. Die ausgetretenen Fußwege aus dem Bayer- in den Böhmerwald kannten schon die Kelten. Der „Böhmweg“, der zwischen Großem Rachel, 1453 m, und dem Grenzort Bayerisch-Eisenstein den Weit-wanderweg E6 quert, war vor 600 Jahren – nach dem Vorbild der Römerstraßen –  mit Granitplatten belegt und konnte sogar mit Planwagen befahren werden. „Salzsäumer-Feste“ sind heute touristische Attraktionen in Grafenau und anderswo im Bayerischen Wald.

Das Schöne am Regen:
wo „Nomen“ nicht „Omen“ ist

Wer die Landkarte des Bayerischen Waldes studiert, womöglich  nach einem sonnigen Ferienziel, der liest darauf so oft das Wort „ Regen“, dass er – falls abergläubisch – seinen Urlaub nicht ohne große Bedenken in dieser Gegend zu verleben wünscht. Beim Wandern gibt’s zwar kein schlechtes Wetter – aber trotzdem! – Es muss doch etwas auf sich haben, dass es zu Füßen des Arbergebirges den Großen und den Kleinen, den Schwarzen und den Weißen und noch dazu die Kreisstadt Regen gibt.

Sagenhafte Welt: Natur pur

Sagenhafte Welt: Natur pur

 

Doch der Regen in all seinen Verästelungen ist nichts anderes als der längste und wichtigste Fluss des Bayerischen Waldes, das Pendant zur Moldau auf der anderen Seite des Hauptkamms. Der Kleine Regen entspringt am Großen Rachel, ganz in der Nähe von Spiegelau und trifft sich in der Glasstadt Zwiesel mit dem Großen Regen, der vom Großen Arber heruntersprudelt. Als Schwarzer Regen fließen die beiden durch die Kreisstadt Regen und – vorbei an Viechtach – bei Kötzting in den Weißen Regen. Ab Kötzting heißt der Fluss schlicht Regen. Sein Ziel ist die Donau, die er bei Regensburg erreicht. – Übrigens: sollte einmal ein sommerliches Gewitter dräuen oder ein Tiefdruckgebiet Niederbayern heimsuchen, die ausgezeichnete Gastronomie im Bayerischen Wald lässt garantiert niemanden im Regen stehen.

 

Der Gläserne Wald:                                                                                                                                             Glasmachergeschichte(n)

Eine der Hauptattraktionen im Bayerischen Wald ist das Glas. Zerbrechliches ist schon seit dem Mittelalter unter dem „Grünen Dach“ heimisch. Heute zählt die Region zu den größten Glaszentren Europas. In den Fabriken von Zwiesel oder Riedlhütte wird Glas längst industriell gefertigt. Doch das Glasmacher-Hand-werk ist durch Maschinen nicht zu ersetzen. Noch heute holen die Glasbläser  glutflüssige, honigartige Schmelze mit langer „Pfeife“ aus dem Ofen und formen scheinbar spielerisch Kelche und Vasen.

Der „Gläserne Steig“, durchschneidet den E6 am Fuße des Großen Arbers und führt den Wanderer durch die Glaslandschaft am Grenzkamm des Bayerischen Waldes: vom Lamer Winkel in Richtung Nationalpark. Die Wege lassen sich perfekt kombinieren: man könnte also vom Dreisessel auf dem Fernwanderweg E6 zum Großen Arber gehen und auf dem „Gläsernen Steig“ bzw. einer Ader des „Goldenen Steigs“ über Grafenau zurück zum Ausgangspunkt. Eine gute Woche Zeit sollte man mitbringen. Es lohnt sich.

Einen Ausflug wert: die niederbayerische Bezirshauptstadt Landshut.

Einen Ausflug wert: die niederbayerische Bezirkshauptstadt Landshut.

Information:
TW-Empfehlung: Geeignet für Wanderer, die gute Grundkondition mitbringen und auch einige Hundert Höhenmeter Auf- und Abstieg nicht scheuen. Technische Schwierigkeiten gibt es nicht.

Allgemeines: Zwischen Donau, Böhmerwald und der österreichischen Landesgrenze breiten sich die rund 6000 Quadratkilometer der größten Waldlandschaft Mitteleuropas aus. Im Nationalpark Bayerischer Wald findet man den letzten, noch erhaltenen Flecken Urwald in Deutschland. Zusammen mit dem Tschechischen Nationalpark Sumava/ Böhmerwald bildet der Bayerische Wald das „Grüne Dach Europas“.

Namhafte Wanderwege: Europäischer Fernwanderweg E6 „Ostsee-Wachau-Adria“ – im Bayerischen Wald insgesamt 163 km, 9 Tagesetappen, von Waldmünchen bis zum Dreisessel oder umgekehrt. Baierweg – insgesamt 155 km, 7 Tagesetappen, von Straubing oder Maria Posching nach Furth im Wald. Böhmweg – insgesamt 54 km, 4 Tagesetappen, von Deggendorf nach Bayerisch Eisenstein. Goldener Steig – Verbindung Passau – Goldene Steige, 53 km, 3 Tagesetappen. Prachatitzer Weg – Röhrnbach über Bischofsreut nach Prachatitz, 59 km, 2 Tagesetappen. Winterberger Steig – Röhrnbach über Philippsreut nach Vimperk (Winterberg), 27 km. Bergreichensteiner Weg – Röhrnbach – Finsterau, 31 km. „Gulden Strass“ – Grafenau – Waldhäuser, 13 km. Gläserner Steig – insgesamt 99 km, 6 Tagesetappen, Lamer Winkel – Grafenau.

Anreise: Mit IC oder ICE erreichen Sie den Bayerischen Wald über Plattling oder Passau.

Grenzübertritt: Deutsche Staatsbürger benötigen beim Grenzübertritt in die Tschechische Republik einen gültigen Personalausweis, EG-Bürger in der Regel einen gültigen Reisepass.

Insider-Tipp: Die Klöster am großen Strom, der Donau, haben die Kultur in den Wald gebracht. Meisterwerke sakraler Kunst findet man heute auch in der Einsamkeit des Waldgebirges: dazu zählen nicht nur die Kapellen und Kirchen, sondern vor allem auch Bildstöcke, Weg-kreuze und Totenbretter. Letztere erzählen oft ein ganzes Bauernleben. Sie sollten nicht achtlos an ihnen vorüber gehen.

Literatur: Wanderführer aus dem Kompass- und Rother-Verlag; „Waldbuckelwelten“ im Verlag Druckhaus Oberpfalz; „Bayerischer Wald – Erlebniswanderführer“ von Manfred Kittel in der Mittelbayerischen Druck- und Verlagsgesellschaft Regensburg; „Wandern und Erleben – Bayerischer Wald und Böhmerwald“ von Bernhard Pollmann im Bruckmann Verlag München; „Der Böhmerwald – ein unentdecktes Naturparadies“ von Christoph Thoma, Verlag Frederking & Thaler München.