Frieda Witzigmann-Faura aus dem Allgäu lebt seit 58 Jahren in Barcelona

 „Neulich habe ich in der Zeitung gelesen, dass Rauchen ungesund sei. Ich habe es aufgegeben, das Lesen.“

Sir Winston Churchill (1874 – 1965)

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Die Ehrenpräsidentin der zehn spanischen Pfeifenraucherclubs ist 86 Jahre alt. Die gebürtige Allgäuerin liebt Stiere – und Toreros; sie sammelt Taucherausrüstungen. Señora Frieda Witzigmann-Faura lebt seit 58 Jahren in der spanischen Hafenstadt Barcelona. Sie hat Oberstaufen der Liebe wegen verlassen und weil es ihr zu eng war. Sie residiert heute in der katalanischen Metropole gleich am Ende der Ramblas, in einem mehrstöckigen Haus an der prachtvollen Plaza Cristobal – mit Blick auf den Hafen und das Meer.

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Mit ihrer gleichalten Freundin in Füssen ist Frieda noch immer in engem Kontakt, vornehmlich telefonisch, weil Besuche hin und her mühsamer und damit seltener geworden sind. Die Millionenstadt Barcelona ist bei der Jugend angesagt, bei den Touristen aus aller Welt. Wegen Gaudis „Sagrada Familia“, wegen der Parks, wegen der Tapas. Und Nenn-Tante Frieda gilt generationsübergreifend als die „coole Type“, als grenzenlos gastfreundlich und ultraschrill. Spanischer Cava-Sekt liegt immer auf Eis. Und natürlich darf man bei Frieda rauchen. Man „muss“ quasi. Wenn sie schon mal daheim ist, zwischen zwei Geschäftsreisen in Sachen Tabak.

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Marmor in der Lobby. Steile Treppen winden sich um den vergitterten Fahrstuhl. Dann betrete ich neugierig eine Wohnung, die Residenz ist und Museum, Bar und Büro, mit hohen Räumen, großen Fenstern, wenig Platz. Weil so viel herumsteht. Klobige Metallhelme erinnern an Jules-Verne-Filme wie „20.000 Meilen unter dem Meer“. Frieda lacht laut über meinen irritierten Blick: „Mei ganze Wohnung ist Taucherzeug noch und noch, Taucherhelme, Taucherlampen!“ Mit meinem Warum? bringe ich Frieda Witzigmann-Faura für einen Moment aus dem Konzept. Sie verfällt in breites Allgäuerisch und beichtet: „Des hob i meine Bälg no nie erzählt. Das war, weil i auch mal in einen Taucher verknallt war!“

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Wohnung voller Kitsch, Kunst und Krempel

Frieda ist 1930 geboren und im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen. Ihre Eltern hatten in Staufen, heute ein Ortsteil von Oberstaufen, eine kleine Frühstückspension für Sommerfrischler. Die kamen bald nach 1945 auch wieder aus England. Wegen der Liebe ist „Tante Frieda“ dann aus dem Allgäu auf die Insel gegangen und legte dort das englische Abitur ab. Ihr Freund musste 1955 – während des Zypernkriegs – einrücken und wurde erschossen. Frieda bekam die schreckliche Nachricht während eines Sprachaufenthalts in Barcelona – und blieb gleich da.

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Die Mutter in Oberstaufen schickte einen ihrer Buben mit dem Fahrrad los, um nach dem Mädel zu schauen. Frieda heiratete einen Spanier und ist heute Oberhaupt einer riesigen Familie. Ihre Tochter und die beiden Söhne haben für vier echte, drei adoptierte und acht angeheiratete Enkel gesorgt. Da tobt oft das Leben in der mit Antiquitäten und Flohmarkt-Mobiliar bis unters Dach vollgestopften Wohnung mit den hohen Decken. Eine Wunderkiste voller Kitsch, Kunst und Krempel.

Frieda Witzigmann-Faura, die man in Barcelona Federica nennt, hat als Lehrerin gearbeitet, als Dolmetscherin, als Autorin. Es klingt wie in einem Roman, aber sie lernte beim Zweitjob als Pflegerin im Altenheim einen international tätigen Unternehmer kennen, der ihr anpackendes Wesen und ihre Sprachkenntnisse zu schätzen wusste. Frieda übernahm die spanische Vertretung einer Schwedischen Tabak-Firma und wurde erste PR-Repräsentantin. Noch heute ist sie, mit 86, Ehren-Botschafterin der Scandinavian Tobacco Group Spanien.

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Historischer Rauchertisch aus Frankreich

Was Wunder, wie ich nur so dumm fragen kann: In Friedas Wohnung sind Pfeifenraucher willkommen, am historischen Rauchertisch aus Frankreich. „Manchmal kommen bis zu fünfzehn-zwanzig Freunde vom Pfeifenraucherclub Barcelona. Da wird’s spät. Oft endet der Abend hier bei mir. Und da kann man durch den Nebel nicht mehr zur Tür sehen. Wir rauchen, wir ratschen, wir diskutieren über Gott und die Welt. Und ich rauch‘ mit, das ist doch klar!“

Wir bewegen uns auf schweren Orientteppichen. Keine Lücke an den Wänden. Alles voll mit Bildern. Wie tapeziert. Auch Holzschnitzereien und Skulpturen der Füssener Bildhauerin Julia Hiemer. Mittendrin eine persönliche Widmung von Salvatore Dali, den Frieda zufällig mal auf der Straße getroffen hat: „Je mehr Kruscht, desto besser“ grinst Frieda.

Wir ziehen kurz den Kopf ein, weil Friedas Hausgenosse, Wellensittich Pol, gerade zwischen Küche und Schlafzimmer Sturzflug übt. Neben dem Bett, das das Bett ihrer Eltern ist, aus dem Allgäu nach Barcelona gekarrt, thront in Augenhöhe ein Totenkopf: Mein Freund, sagt Frieda: „Des isch ein echter. Des tät mir Spaß machen, dass se mich mal mit dem begraben. Und dann, in hundertausend Jahr‘ würd’s heißen, da war ein Mensch mit zwei Köpfen!“

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Die animalische Kraft der Kampfstiere

Wir verlieren uns in Gespräche über Afrika, den Senegal, wo Frieda Monate lang bei einem Stamm gelebt hat, die Kraft von Orang-Utans und die Vorzüge von Kampfstieren. Ihr Schlafzimmer ist von einer ganzen Herde Stiere bevölkert. „Der Stier ist das schönste Tier überhaupt!“ Toreros mag sie nur, wenn sie gut sind, ebenbürtig mit dem Stier. Dabei blitzen ihre Augen und Frieda Witzigmann-Faura fällt immer wieder nahtlos in ihren Allgäuer Dialekt, von dem sie nichts verlernt hat: „Des isch wie die Seele. Die Seele verliert man auch nie. Also in Staufen hat man g’sagt, i bin in Berlin gsi, und in Thalkirchdorf gsing, an Kilometer weiter gibt’s andere Wörter, ganz andere Ausdrücke.

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Früher war Frieda begeisterte Skifahrerin. Eine gute Skitourengeherin. Der Hochgrat fehlt ihr manchmal, und der Schnee. Und die Kässpatzen. Manchmal macht sie die für ihre Raucherclub-Freunde. Immerhin prägen Möbelstücke aus Oberstaufen die Wohnung in Barcelona. Ein Schrank von daheim beherrscht unverrückbar eine ganze Ecke in Friedas Palast: „Der hat überhaupt keine Nägel. Das ist ganz alte Handwerkskunst. Ein richtiger Allgäuer Bürgerschrank!“ Sie zeigt mir das Geheimfach.

Wenn Frieda in Barcelona ist und nicht unterwegs, um wieder irgendwo in Spanien einen Pfeifenraucher-Wettbewerb zu organisieren, dann geht sie vor der Siesta gern in das nahe Fischerviertel Barcelonetta, wo sie als Einheimische Kneipen kennt, die Touris nicht finden. Wir speisen im 40 Jahre alten „Los Pescaditos – bei den kleinen Fischern“.

Drei Tische, die Theke, wunderbare königsblaue Motiv-Kacheln an den Wänden. Stimmengewirr. Bestellung auf Zuruf: „Das ist für uns gang und gäbe, dass wir mittags hier schnell auf einen Sprung einkehren, ein Gläsle Wein aus dem Fass trinken und ein paar Fischle dazu essen, ganz frisch vom Markt, köstlich, und einen kleinen Salat dazu!“

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Sie liebt den Rhythmus, das Trommeln, den Tanz

Frieda Witzigmann-Faura findet nichts Besonderes an ihrem Leben. Sie sei doch kein Thema für die Zeitung, meinte sie bei unserem allerersten Telefonat: „Da sind ja Chinesen in China oder der Maulwurf in seinem Bau interessanter!“ Dabei geht die Geschichte ja schon damit los, dass die 86-jährige Allgäuerin, die Spanisch und Katalan spricht, Englisch und Deutsch, auf dem Küchentisch Papierbögen und Bücher liegen hat, weil sie regelmäßig am Vormittag Texte in fremden Sprachen schreibt, damit sie im Kopf fit bleibt!“ Das Rezept scheint zu wirken.

Pol, der Wellensittich ist „vogelfrei“ in der Wohnung. Und wenn er gerade Flugstunde hat, flattern die beschriebenen Blätter wie weißer Wirbel vom Tisch auf den Boden. „Das passt“, meint sie, „wir brauchen jetzt eh Platz für den Kaffee!“ Von sich eingenommen ist Frieda nicht. Gar nicht. Und überhaupt nicht eitel: „Ich war seit über zwanzig Jahren nicht mehr beim Friseur“, schmunzelt sie, „manchmal kämme ich mich morgens mit dem Rücken zum Spiegel!“

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Friedas CD-Schrank ist vollgestopft mit Jazz und afrikanischer Musik. Sie liebt den Rhythmus, das Trommeln, die Wärme, den Tanz. Und sie ist immer noch gern auf Reisen, unterwegs, unter den Leuten. 2017 findet die Weltmeisterschaft im Pfeife-Langsam-Rauchen im kleinen Dorf Macanet de Cabrenys in der Comarca Alt Empordà in Katalonien statt: jeder Teilnehmer bekommt eine Pfeife, einen hölzernen Pfeifenstopfer, zwei Streichhölzer und drei Gramm Tabak.

In Macanet de Cabrenys am östlichen Abhang der Pyrenäen, gibt es zwei Fabriken, eine für Flaschenkorken und eine für Tabakspfeifen. Auch Touristen wird es dort genug geben 2017. Auch aus dem Allgäu. Und die haben dort sehr gute Chancen, Frieda Witzigmann-Faura zu treffen, die vor 58 Jahren Oberstaufen verlassen hat. Aber nie vergessen: „Wenn ich zwanzig Jahre geschenkt bekäme, aber dafür meine Erinnerungen her geben müsste, ich würde verzichten!“

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Vergessen hat sie ihre Heimat nicht. Das erfährt auch, wer in der Hauszeitschrift der Scandinavian Tobacco Group Spain, Ausgabe April 2016, ein kleines Gedicht findet, das Federica Witzigmann ihrem Vater gewidmet hat, ihrem Vater, Oberstaufen, dem Allgäu und den Freuden des genüsslichen Pfeifenrauchens: „Recuerdos abredor de una pipa!“

                                                                                         Text: Christoph Thoma – Bilder: Anna Maria Dahm

 


Erinnerungen im Pfeifenrauch

Mein Zuhause war einfach, fast streng.

Kein Schnickschnack oder Extravaganz.

Für mich begann nach dem Abendessen,

das schon um sechs Uhr war, die Magie.

Es war fast ein religiöses Ritual,

wenn mein Vater seine Pfeife stopfte.

Er hatte nur eine, sein Leben lang,

aber die pflegte und verwöhnte er.

 

Ich kann mich nicht erinnern,

welche Art von Tabak er rauchte.

Aber das Aroma war köstlich –

wenn der Rauch die Luft erfüllte.

Meinem Vater war der Genuss anzusehen,

er schien von innen her zu leuchten.

Manchmal zog er sein Notizbuch heraus

und begann zu schreiben (über die Geschichte

unserer Region, die Kirche oder die

Häuser im Dorf).

 

Das sind unvergessliche Erinnerungen,

Nostalgie, diese besondere Stimmung,

wenn mein Vater Pfeife rauchte.

Mein Bruder tat es ihm später nach.

Aber wer hätte gedacht, dass auch ich

einmal von Tabakspfeifen umgeben sein würde.

 

Federica Witzigmann

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